Der Schweiger Sepp




Der Schweiger Sepp hängte den Latzschurz aus blauem Drillich an den Kleiderrechen im Fletz und streifte die hölzernen Stallpantoffel von den Füßen, dass sie vernehmlich auf die bruchrauhen Steinplatten polterten. Damit setzte er den Schlusspunkt unter die morgendliche Stallarbeit. Seine Kuh, die Geiß, die schlachtreife Sau und ein paar Hühner waren versorgt. In der niedrigen Wohnstube, die einen trotz aller Einfachheit der Einrichtung anheimeln konnte, machte sich der alte Junggeselle an das Einräumen seines Treibjagdrucksackes, wie ihn jeder zünftige Jäger neben dem Gegenstück zum Heimschaffen erlegten Wildes besitzt. Nach dem Mundvorrat für Jäger und Hund ließ er sich das Verstauen der mit heißer Erbsensuppe gefüllten Thermosflasche besonders angelegen sein. Wegen ihrer Stoßempfindlichkeit bettete er sie sorgfältig zwischen die schafwollenen Reservesocken. Seiner oft geäußerten Meinung nach gehörte der Erfinder dieser Errungenschaft als Wohltäter der Menschheit heiliggesprochen, denn er als gemeindlicher Flur- und Waldaufseher von Irfersdorf, der seit eh und je, Tag für Tag und bei jedem Wetter seinen Dienst zu versehen hatte, wusste die wohlige Wirkung eines heißen oder auch kühlen Schluckes wie kaum ein anderer zu schätzen. Bei allen Unbilden seines Berufes hatte dieser aber auch eine Besonderheit an sich, um die ihn mancher betuchte Jagdpächter beneidete; es war die Art der Entlohnung, die darin bestand, dass ihm Ausübung und Ertrag der Gemeindejagd zugestanden war. Der Sorge um den Verlust des liebgewonnenen Jagdreviers nach Ablauf der Pachtperiode war er ebenso enthoben wie der Englmann Michel, der Schmied im benachbarten Irlahüll, dem wir heute auch noch begegnen werden. Ihm war das tägliche Aufziehen der Turmuhr mit den schweren Steingewichten und die Wartung des Werks ebenfalls gegen Überlassung der Jagd übertragen. So einfach und zweckmäßig regelte man also damals Leistung und Entlohnung öffentlicher Dienste zur beiderseitigen Zufriedenheit, ohne eine Gewerkschaft der Polizei, ohne eine Gewerkschaft ÖTV und ohne einen auf nur ein Jahr befristeten Vertragsabschluss.
 

Der Sepp zerstochert mit dem Schürhaken die wenige Glut des Reisigbuschfeuers im gekachelten Sesselherd. Dann kramte er aus der Schublade, der halb in die Wand eingebauten Anrichte, seine Schwarzpulverpatronen zusammen. "Die reichen für heut`", sagte der an Selbstgespräche gewöhnte Einspänner zu sich und ließ deren zwanzig in die tiefen Taschen seines Mantels rollen. Farbe, Schnitt und Verschleiß dieses abgetragenen Stücks ließen die Vermutung wach werden, es stamme noch aus Heeresbeständen des Weltkrieges. Den gleichen Schluss ließen auch seine kurzgeschäfteten Stiefel zu. Es war daher nicht so abwegig, in dieser Montur den Dank eines ohnmächtig darniederliegenden Vaterlandes zu erkennen, der dem Schweiger Sepp im Winter 1918 wie hunderttausenden anderen für vier Jahre Frontdienst auf diese Weise abgestattet worden war. Auf dem schmalen Bord über der niedrigen Stubentür waren rote Äpfel aufgereiht, davon steckte er sich einen zu und griff sich die langläufige Doppelflinte aus der derb verbretterten Wandnische. Die um die Füße maunzende Katze verwies er mit der Mahnung zum Mäusefangen in den Schuppen, während es der schon etwas abgeklärte Wachtelhund-Bastard selbstverständlich fand, wie jeden Tag auch heute mitkommen zu dürfen. Nach einem besinnlichen Blick zum Herrgottswinkel blies der Sepp die Petroleumlampe aus und versperrte die schwere Haustür. Über ihr verlief bei der herkömmlichen Bauweise der Jurahäuser als Abschluss das spannenhohe, die ganze Türbreite einnehmende Oberlicht, das den Hausflur erhellt und zudem während des Sommers den hurtigen Hausschwalben Einlass zu ihren Nestern im Fletz gewährt. Dort hinterlegte der arg- und sorglose Frühaufsteher den gewichtigen Hausschlüssel. Beim Nachbarn wusste man Bescheid über die heute ganztägige Abwesenheit des Flurers, was ohne viel Redens auch einschloss, dass jemand tagsüber ein paarmal nach dem Rechten sah.
 

Der Schweiger stapfte durch den lockeren Schnee zum Dorfausgang, wo verabredungsgemäß der Korl Sepp auf ihn wartete. Der paffte schon mächtig aus seiner halblangen Rehkronenpfeife mit dem bunten Porzellankopf, was den Ankömmling veranlasste, sich mittels eines "Kochers" gleicher Bauart ebenfalls unter Dampf zu setzen. Ihr persönliches Verhältnis war geprägt von dem Miteinanderleben im Dorf, von gemeinsamen Frohsinn und Sangeslust, allerdings mit dem Unterschied zwischen Abgeklärtheit des Schweiger und dem übersprudelnden Temperament des anderen, was - wie man noch hören wird - in puncto puncti in ihrer ganzen Gegensätzlichkeit zutage trat.

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  "Korl", Jagdpächter von Irfersdorf